Revolution statt Klischee

Zu alten Volksliedern schreibt er neue englische Texte, jiddische Arbeiter- und Arbeitslosenlieder des ausgehenden 19. Jahrhunderts oder eine Adaption von Brecht/Weills „Denn wovon lebet der Mensch“ zeigen politisches Bewusstsein. Kahns listige Version von „Lili Marleen“ begnügt sich mit infantilen Klängen einer Spieluhr, sein derzeitiger Lieblingssong stammt, so sagt er im Konzert, von einem griechischen Liedermacher – er verstehe zwar kein Griechisch, habe das Stück aber „übersetzt“.

Der reflektierte Poet will aufrütteln, ohne den Zeigefinger zu bemühen. So kleidet er widerständige Gedanken häufig in subtile Ironie, die auch in seinen deutschen Moderationen zwischen den Liedern aufblitzt. Zudem erweist sich Kahn, vielen Rebellen ähnlich, als leidenschaftlicher Romantiker. Auf seinem dritten Album „Lost Causes“ findet sich mit „Görlitzer Park“ eine atmosphärische Hymne an den Ort und dortig angesiedelte Erinnerungen, das aktuelle Bühnenrepertoire enthält weitere, bislang unveröffentlichte Balladen. Eine davon bezeichnet Kahn im nicht ganz ausverkauften Palmengarten als ein Liebeslied an Berlin und seine idealisierte Sicht auf die sozialistische Vergangenheit. Konsequent lässt er darin Stilmittel von Couplet bis zu russischen Trinkliedern anklingen. Fast schon beklemmend klingt hingegen ein Klavier-Song über die Entfremdung entwurzelter Menschen, die Daniel Kahn von Kindheit bis heute in seiner direkten Nachbarschaft erlebt.

Wie der Musiker unbekümmert durch Genres wandert, hier eine Klezmer-Phrase streut, dort infizierende Polka-Rhythmen einsetzt, dazwischen irische Erinnerungen aufleuchten lässt, robuste Shanty-Selbstversicherung und Blues zitiert oder die Euphorie der Balkan-Gypsys beschwört, ist bemerkenswert. Nicht nur wegen der Vielfalt an sich, sondern auch wegen der Stilsicherheit, die Kahn dabei zeigt. Natürlich steht er, dank ausdrucksstarker Raustimme und geschulter Präsenz, im Mittelpunkt der Band, zumal er neben Klavier und Akkordeon auch eine folkrockige E-Gitarre und Ukulele spielt. Seine langjährigen Begleiter verschwinden aber keineswegs. Besonders Violinist Jake Shulman-Ment setzt mit melancholisch angehauchten bis flirrenden Melodien immer wieder variable Akzente, während Michael Tuttle den Kontrabass mal harmonisch streicht, mal energisch zupft. Hampus Melin braucht nur ein Mini-Schlagzeug, um mit Besen, Filzklöppeln oder Sticks dezente, verschattete oder aufstachelnde Takte zu trommeln.

Es gehört schon ein wenig Mut dazu, aktuell nur noch zu viert auf Tour zu gehen und die vormals prägnante Klarinette daheim zu lassen. Die kommende CD soll, erzählt Kahn abseits der Bühne, ebenfalls ohne die vielen Gastmusiker eingespielt werden, die die Opulenz früherer Produktionen ausmachen. Parallel zum neuen Quartett-Album will Kahn eine weitere CD veröffentlichen, auf dem er Volks- und Hochzeitslieder aus Osteuropa versammelt, die mit dem legendären Sänger Nathan „Prince“ Nazaroff in den Fünfzigern bekannt wurden. Einen Ausblick darauf gibt Kahn im Konzert mit sentimentalen bis fröhlichen Stücken.

Couragiert spielt Daniel Kahn nach der Pause im sommerabendlichen Palmengarten gleich mehrere intensive Balladen hintereinander und fordert damit das Publikum zum konzentrierten Zuhören auf. Alle lauschen aufmerksam, viele springen aber auch schnell auf die Beine, als das Quartett dynamisch an Tempo und Lautstärke zulegt. Daniel Kahn und The Painted Bird können eben auch als energische Party-Band für ausgelassene Stimmung sorgen.