Vom Zeitvertreib des Vogelfängers

Seinen Titel hat der Roman vom Zeitvertreib eines Vogelfängers: Der nimmt einen seiner gefangenen Vögel, malt ihn bunt an und lässt ihn fliegen. Trifft der Vogel auf einen Schwarm seiner Art und will sich ihm anschließen, hacken die anderen den vermeintlich artfremden Eindringling zu Tode.

Daniel Kahn versetzt sich musikalisch in die Rolle des Jungen aus Kosínskis Roman, der – “Jude oder Zigeuner” – nirgends willkommen ist. Die Welt der Kahnschen Texte ist oft ähnlich lebensfeindlich wie die des Romans. Ein ganzes Lied lang (Parasites) beschreibt er zoologisch präzise die widerlichsten Parasiten: den Kleinen Leberegel (Dicrocoelium dendriticum) etwa, der Ameisen in den Wahnsinn treibt, damit sie in Mondnächten an die Spitze von Grashalmen klettern, um von der Kuh gefressen zu werden, in deren Därme es den Egel zieht. Oder die Juwelwespe (Ampulex Compressa), die Küchenschaben lähmt und in ihr Nest zerrt, um ihre Eier auf ihnen abzulegen, damit die Larven die Schabe bei lebendigem Leibe auffressen können.
Daniel Kahn & The Painted Bird sind für den Klezmer, was die Pogues für den Folk waren: Sie versetzen die Tanzmusik der osteuropäischen Schtetl mit einer ordentlichen Portion Punk. “American Gothic Folk” nennen sie das mal oder “Radical Yiddish Song”, “Klezmer Danse Macabre”, “Verschwörungs-” oder “Verfremdungs-klezmer”. Bei Auftritten der Band hängen Commedia dell’Arte-Masken an den Mikrofonständern; ihre Videos sind auf Wiener Hinterhöfen zwischen Feuertreppen und spielenden Kindern aufgenommen. Alles sehr sympathisch.
Daniel Kahns kommt aus Detroit, lebt seit drei Jahren in Berlin und spielt Akkordeon, Klavier, Gitarre, Mundharmonika und eine selbst gebaute Ukulele. Seinen Gesang meckert er gerne mal durchs Megafon – auf jiddisch, russisch, englisch und deutsch. Seine Konzertagentur beteuert, er rocke jede Balkan-Beat-Fete, passe sich aber auch manierlich in jüdische Museen ein. Letzteres kann man sich nach Anhören des Albums Partisans & Parasites kaum vorstellen. Es klingt, als gebe er sich alle Mühe, überall fehl am Platz zu sein, bei Fans des Klezmer mit zu viel Verstärker, bei Freunden postfolkiger Independentmusik mit zu viel Geschrammel.
Für Partisans & Parasites hat Daniel Kahn sich Gastmusiker aus Klezmer und Balkanpop eingeladen, die Trompeter Frank London von den Klezmatics und Paul Brody von Tsadik’s Sadawi etwa und den ausgezeichneten Klarinettisten Michael Winograd. Seine Stammbesetzung sind der Deutsche Bert Hildebrandt an Klarinetten, Saxophon und Posaune, der US-Amerikaner Michael Tuttle am Bass und der Schwede Hampus Melin am Schlagzeug; die russischen Lieder singt der Gitarrist Vanya Zhuk – die perfekte Grundlage für polyglotten, paneuropäischen Punkfolk.
Kahn schreibt großartig schräge Texte zwischen Leonard Cohen und Mordechaj Gebirtig, zwischen Nick Cave und Hirsch Glik. Er eignet sich zudem mit leichter Hand die Texte anderer Autoren an und fügt sie in einen Zusammenhang ein. Auf dem Album steht Kurt Tucholskys “Küsst die Faschisten, wo Ihr sie trefft” neben dem Parasiten-Traktat und einem Lied über die Racheorganisation Nakam des ehemaligen jüdischen Partisanen im Kampf gegen die Nazis, Abba Kovner. Der wollte das Trinkwasser Nachkriegsdeutschlands vergiften, um so viele Angehörige des Tätervolks zu ermorden, wie Juden den Tod gefunden hatten – weshalb das Lied Six Million Germans heißt. Immerhin schafften Kovners Leute es, rund 200 ehemaligen SS-Leuten in einem Lager bei Nürnberg Arsen in die Nahrung zu schmuggeln. Niemand starb.
Im Eröffnungsstück des Albums, dem blechblaskräftigen Lied über Yosl Ber, er “dint in militer” (dient beim Militär), sägt eine verzerrte Schweinegitarre, dass es nur so kracht. In Liedern wie Rats (es geht um ein sinkendes Schiff) klöppelt die Begleitung wie bei Tom Waits, Vampirn (über den Kampf der Arbeiterklasse gegen die Blut saugenden Kapitalisten) schreitet wie die Moorsoldaten, und Dumai (Denk!) stellt zu einer alten chassidischen Melodie die unbeantwortet bleibende Frage, wem das Heilige Land denn nun gehöre, “tsi folk fun levone tsi folk fun shtern”, dem Volk des (Halb-) Monds oder dem Volk des (David-) Sterns.
Die Zerstörung von New Orleans durch Wirbelsturm Kathrina besingt Kahn mit einem einst auf den Untergang der Titanic gemünzten jiddischen Lied aus Lodz, und von Morris Rosenfeld stammt das bittere Liebeslied eines jüdischen Arbeiters aus der Zeit der Jahrhundertwende, Mayn Rue-Plats (Mein Ruheplatz). Manchmal erzählen Kahns Lieder auch einfach nur einen jüdischen Witz, meist mit bitterem Beigeschmack wie A Rothschild In Your House: Ein Jude zeigt seinem Freund auf dem Friedhof in Paris das Grabmal Rothschilds und sagt, “zeyst, Yankl, dos heyst gelebt” (siehst Du, Yankl, das ist ein Leben).
Auf der Bühne hat Kahn ein paar Brecht/Weill-Lieder im Programm und eine Bühnenpräsenz wie ein alttestamentarischer Prophet. Da hilft, dass er Regie und Schauspiel studiert hat. Auch, um Pointen rüberzubringen wie diese: Sagt der Engel zum Wehrmachtssoldaten: “Erschieß diesen polnischen Priester nicht, er wird einmal der Papst!” Fragt der Wehrmachtssoldat: “Was habe ich davon?” Sagt der Engel: “Du kannst der Papst nach ihm sein.” Womit wir wieder im unschönen Osteuropa eines Jerzy Kosínski wären – aber mit Humor.