ÜBER PARASITEN UND PARTISANEN

Am nun wirklich günstigen Eintrittspreis von 13 Euro kann es nicht gelegen haben, dass sich nur rund sechzig Zuschauer im Münchener Westend einfanden. Fakt jedoch ist, dass sich die Nichtanwesenden eines der interessantesten Konzerte der Münchener jüdischen Musikszene entgehen ließen: Kahn, der das durchweg nicht-jüdische Publikum standesgemäß mit einem "gut schabbes" begrüßte, und seine drei Mitmusikanten hielten die Anwesenden gekonnt über zwei Stunden "in Schach" ...

Dafür herhalten mussten die Lieder aus seinem aktuellen Album, sodass sich der Abend im Wesentlichen um "Partisanen und Parasiten" drehte; denn Klezmer - Kahn kennt die unausgesprochenen Wünsche des deutschen Publikums - spiele man erst gegen Ende des Konzerts! Brechts ehedem revolutionäre Technik, nämlich Theater mit eingeblendeten Texten oder erzählerischen Passagen zu spicken. wendet Kahn erfolgreich an und steht mitunter gar in direktem Dialog mit seinem Publikum, wenn er etwa davon spricht, dass nach erfolgter Vergangenheitsbewä1tigung in jedem Falle die "Gegenwartsbewältigung" an der Reihe sei - kein Wunder, waren doch vorausgegangene Stationen Kahns unter anderem sein Studium an der University of Michigan (Schauspiel, Regie, Dichtung und Theater). Musikalisch sicher nicht zufällig sind hier und da Anleihen an Kurt Weill zu hören - hervorragend umgesetzt von seinen Mitspielern Michael Tuttle (Bass; aus Michigan stammend, bereits seit Jahren mit Kahn musizierend), Hampus Melin (Schlagzeug; Malmö/ Schweden) und Zoe Christiansen (Klarinette; Vermont); dass Letztere erst seit sage und schreibe sieben Tagen mit von der Partie ist, hört man ihrem souveränen Spiel keinesfalls an.

Ob mit "Yosl Ber" im zaristischen Militär, dem Lebenslauf eines parasitischen Insektes oder mit "Rosen auf den Weg gestreut" (Text: Kurt Tucholsky) - Kahn, immer in Anwesenheit seines "bamalter foigl", versteht es, sein Publikum in jiddischer, englischer und überraschend guter deutscher Sprache sowie einigen russischen Floskeln zu binden. Grenzwertig, zumindest für das (nicht-jüdische) deutsche Publikum, und notabene für Kahn selbst (wie er dem Berichterstatter im Vorfeld "gesteht"), mag das Stück "Nakam" (hebr. "Rache") sein. Hier beschäftigt er sich mit einem gewissen, historisch tatsächlich belegten Abba Kovner, der diese Rache für den Holocaust mit dem Tod von sechs Millionen Deutschen umsetzen wollte (Musik und Text sind vom Künstler selbst, O-Ton Kahn: "Eigentlich hätte ich das nie schreiben sollen.. ."). Beendet wurde das Konzert schließlich kurz nach Mitternacht mit einer Zugabe in Form einer jiddischen Version von "Moskau': ursprünglich von der deutschen Schlagerformation Dschingis Khan gesungen.
Und wie immer bleibt nach einem "jüdischen Konzert" die Frage offen, für wen ein Jude vor allem in Deutschland "jüdische Musik" mit klar "jüdischem Inhalt" präsentiert (vgl. Folker 4/2008). Dass Kahn sich in seiner aktuellen Formation durchweg nicht-jüdischer Musiker bedient, mag nur den erstaunen, der selbst nicht musiziert. Dass aber andererseits von rund zehntausend jüdischen Einwohnern Münchens kaum einer den Weg in die Feuerwache findet, ist angesichts der avantgardistischen Darbietung des Quartetts mehr als bedauerlich. Am "schabbes" kann es in Anbetracht der nichtreligiösen Ausrichtung der überwältigenden Mehrheit der Münchener Juden nicht gelegen haben! Selbst schuld, wenn man sich ein derartiges Konzert entgehen lässt!